Die Reise - August 2003

Rückkehr und Perspektiven






Bevor wir Rwanda verlassen, nutzen alle noch einmal die Gelegenheit, sich kunstvoll frisieren zu lassen.
Als wir vom Zentrum St. Paul zum Flughafen aufbrechen wollen, regnet es heftig. Dies ist in der Trockenzeit sehr selten, aber Regen ist immer ein gutes Zeichen für die wichtigste wirtschaftliche Aktivität in Rwanda, für die Landwirtschaft.
Den meisten Jugendlichen fällt der Abschied sehr schwer. Sie verlassen wiederum ihre Verwandten und Freunde, und es ist ungewiss, wann sie sie wieder sehen. Viele Menschen verabschieden uns am Flughafen.

Alle sind aufgewühlt zurückgekommen, mit vielen Fragen, mit dem Bedürfnis nach Ruhe und teilweise nach Ablenken durch intensive Aktivitäten. Die meisten wollen sich zunächst nicht mit Rwanda beschäftigen, brauchen Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Es fällt schwer, die Gefühle mit Menschen zu teilen, die die Situationen nicht miterlebt haben. Und es ist schwer, Erlebnisse zu verarbeiten, die man nicht in Worte fassen kann.

Alle sind froh, diese Reise gemacht zu haben, niemand bedauert es. Auch, wenn es sehr schmerzhaft war, hat es sie weiter gebracht. Sie können weiter an der Klärung für sich arbeiten, den inneren Frieden wieder finden und das verlorene Vertrauen in Menschen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Heilung. Die Frage nach der Identität steht im Raum: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Viele fühlen sich in Rwanda und in Europa als Fremde.
Alle wollen, dass die Gruppe sich weiterhin trifft, um die Wege der Einzelnen zu begleiten. Die Gruppe gibt Halt, in Rwanda war sie das Zuhause und bot Sicherheit und den Raum, die vielfältigen Gefühle zu artikulieren, sie auszuleben und damit Erleichterung zu finden.

Einen Monat später treffen wir uns zu einer ersten Auswertung der Reise, alle sind froh, die Gruppe wieder gefunden zu haben:

„Ich denke, es ist eine sehr besondere Reise. Ich glaube, wir haben das Beste aus der Reise gemacht, das, was den Umständen entsprechend möglich war. Ich bin stolz auf unsere Tapferkeit: Ich wünsche jedem, der aus dem Land geflohen ist, mal wieder dorthin zurückzukehren. Man leidet natürlich noch einmal sehr, doch ich denke, es macht uns stärker.“

„Ich fühle in mir Leere und frage mich, wann dieses Gefühl begonnen hat. Es war in den Minuten, als ich nach fast zehn Jahren in unserem Garten stand, wo damals meine Welt noch unschuldig und heil für mich war. Ich habe das starke Gefühl gehabt, als ob ich nach zehn Jahren herumirren endlich wieder dort bin, wo ich hingehöre. Und als wir dann durch das Tor gingen, wurde mir klar, mein Zuhause ist wirklich für immer tot, nie wieder werde ich mich so wohl fühlen.“

Mit einem Fragebogen, der sich am individuellen Tagebuch orientiert, haben wir die Reise ausgewertet.
(Hier können Sie sich das Tagebuch als PDF-Version ansehen: Tagebuch erster Teil | Tagebuch zweiter Teil)
Wir wollen aus den Erfahrungen lernen für andere Projekte, um die Friedensarbeit fortzusetzen. Und daher haben wir nach Ratschlägen gefragt für Freunde/ Freundinnen, die nach Rwanda reisen wollen. Die Antworten sind in keiner Weise einheitlich, aber alle weisen darauf hin, dass die Reise sehr gut vorbereitet werden muss, dass man sich auf der emotionalen wie kognitiven Ebene damit vorher auseinander setzen muss, mit seinen Vorurteilen und Stereotypen wie mit seinen positiven und negativen Gefühlen:



Was würdest Du Deinem Freund/Deiner Freundin raten, wenn er/sie nach Rwanda fahren will?
  • Vorher viel sprechen, die Ängste und Vorurteile aussprechen, denn das hilft, sich dem Land anzunähern,
  • Nicht glauben, das alles schön ist, weil der Krieg zu Ende ist,
  • Besonders seine Gefühle ausleben, denn dies hilft, sich später besser zu fühlen,
  • Keine Vorurteile mitnehmen und mit Vorsicht genießen
  • Aus Sicherheitsgründen mit einer Gruppe fahren,
  • Für Ferien: allein fahren um genügend Zeit für sich zu haben,
  • Sagen, dass Rwanda ein schönes Land ist, die Landschaft, die Berge, die Leute, der See, das Essen, dass es sich lohnt, dorthin zu fahren
  • Sich Zeit nehmen, um alles gut zu erleben
  • Bescheiden sein,
  • Zuhören,
  • Vorurteile überwinden und offen sein,
  • Vorsichtig sein,
  • Sich emotional/ mental vorzubereiten,
  • Auf keinen Fall allein reisen und in Rwanda schon vorher Kontakte knüpfen, um nicht in die totale Depression zu geraten,
  • Nicht alleine reisen, nicht länger als zwei Wochen dort verbringen und eine sichere Unterkunft haben,
  • Geduld haben und nicht zu kritisch sein,
  • Die Zeit dort maximal nutzen, denn als ich zurückkam, hatte ich schreckliches Heimweh,
  • Gehe hin, guck dich um und bilde dir deine eigene Meinung!


Hat die Reise zu Frieden und Versöhnung beitragen können?

Was heißt, sich für Frieden und Versöhnung einzusetzen? Was bedeutet Frieden für mich? Die Antworten zeigen, dass viele Teilnehmende zunächst den inneren Frieden finden und sich mit sich selbst versöhnen müssen. Dies ist Voraussetzung, um offen für die Anderen zu werden. Die vielen Gespräche besonders mit Jugendlichen haben dazu beigetragen, Offenheit zu schaffen. Von verschiedenen Seiten in Rwanda, von offiziellen Stellen wie auch von Angehörigen und Freunden, wurde diese Reise überaus positiv bewertet, besonders die Tatsache, dass die Kinder wieder in das Herkunftsland kommen, um selbst zu urteilen.

Auch wird das Projekt als Beispiel bewertet, die gespannten Beziehungen zwischen der rwandischen Bevölkerung im Land selbst und in der Diaspora zu durchbrechen. Die rwandische Gesellschaft hat in ihrer Geschichte bereits die negativen Folgen erfahren, wenn Menschen gezwungen sind, im Exil zu leben. Nach dem Sturz der Monarchie im Jahre 1959, und in der Folge wurden in den 1960er und 1970er Jahren aufgrund von Verfolgung un der Ermordung von tausenden Personen viele Menschen ins Exil gezwungen. Sie erhielten nie das Recht auf Rückkehr und haben es sich ab 1990 mit der Waffe erzwungen.
So wurde mit diesem Projekt ein sehr wichtiger präventiver Schritt getan und dazu beigetragen, dass sich im Ausland nicht wieder Gruppen bilden, die vielleicht eines Tages versuchen werden, mit kriegerischen Mitteln zurückzukehren.



Die jungen Leute schätzen ihren Beitrag zu Frieden und Versöhnung so ein:
  • Ja und nein, weil die Reise sehr kurz war, konnte ich mich mit dem Land und seinen Bewohnern nicht aussöhnen.
  • Ja, denn ich habe viele Ängste verloren und ich habe weniger Vorbehalte gegenüber Rwanda.
  • Jeder von uns hat die Gruppe stark gemacht und jedem den Mut gegeben, nach Rwanda zu gehen, um seine Frieden zu suchen, auch wenn er ihn nicht gefunden wurde, ist er einen Schritt näher.
  • Ich habe auf meine Weise zur Versöhnung beigetragen, besonders mit meinem Land, dem gegenüber ich lange sehr böse war und mein Hass wegen der Massaker ist ersetzt worden durch den Willen, in Frieden zu leben, denn der Krieg hat mein Land und Millionen Familien und Leben zerstört.
  • Ja, ich habe einen Schritt nach vorne gemacht, weil ich mich mit meinem Land versöhnt habe. Ich hoffe, dass ich es auch mit meinen Leuten irgendwann schaffen werde. Ich bin bereit, diesem Land mehrere Chancen zu geben.
  • Ja, wir haben zu Frieden und Versöhnung beigetragen, in dem wir uns mit vielen Jugendlichen ausgetauscht haben, wir haben viel voneinander gelernt. Vielen hat unsere Offenheit und Sympathie viel Hoffnung gegeben.
  • Ich glaube, ich konnte einem Jugendlichen etwas extra Energie und Hoffnung geben, als seine Vorräte knapp wurden.
  • Das kann ich jetzt nicht einfach so behaupten, aber ich glaube schon. Dass ich einfach dabei war und es mir noch mal bewusst wurde, dass man nicht alle Menschen in einen Topf werfen kann.
  • Ja, ich habe gesehen, das Rwanda wieder aufgebaut wird und dies hat mich sehr erleichtert und so habe ich einige schlechte Erinnerungen löschen können.
  • Dass ich meine Familie gesehen habe, hat mir Frieden gegeben, denn dies war das Einzige, was mich an Rwanda noch gebunden hat.


Ich wünsche mir für die Zukunft:
  • Weiterhin die Gruppe zu treffen, um auch zu sehen, wie die Einzelnen nach der Rückkehr sich weiterentwickeln.
  • Wir sollten in Kontakt bleiben, wir sollten Gelegenheit haben, uns auszutauschen und Anreize von anderen bekommen, ich will mich weiterhin mit der Gruppe treffen.
  • Jeder muss seine Erfahrungen verarbeiten und auswerten.
  • Die Jugendlichen aus Kimisagara einladen.
  • Weitere Projekte zu machen und mit anderen Gruppen zusammen zu arbeiten.
  • Gute Öffentlichkeitsarbeit für Imbuto machen, damit wir weitere Finanzierungen erhalten, um unsere Ziele zu erreichen.
  • Man muss diesen Weg weitergehen – PEACE!
  • Rwanda bzw. Afrika durchlebt seit längerem eine schwere Zeit, vieles können wir nicht ändern, manches schon, für das sollten wir uns einsetzen.
  • Dass wir andere Länder besuchen, andere Jugendliche kennen lernen, das Treffen nicht so lange sind, dass wir Spaß haben.
  • Dass die Rwander im Land weiter für Frieden kämpfen und für das LEBEN!
  • Die Rwander wollen nach vorne gucken und ich hoffe, dass die Politiker dies respektieren.
  • Recht auf Leben!
  • Recht auf andere Meinungen, Rechte der Kinder, Rechte der Menschen, Frieden, Toleranz!
  • Dass die Seminare weiterhin stattfinden und dass man sich immer treffen kann.
  • Imbuto soll ein Treffpunkt werden, der sich für Toleranz und Fremdenfreundlichkeit sowie Offenheit einsetzt und dies auch verkörpert. Wenn man Imbuto sagt, dass jeder gleich weiß, dass es eine Gruppe ist, die man mit diesen Wörtern verbindet.
  • Imbuto soll weiter an dem Thema »Rwanda« arbeiten und ich möchte gerne das Projekt weiterentwickeln.
  • Mit jedem Seminar entwickeln wir uns weiter und werden stärker, ich möchte weiterhin mitmachen, denn dadurch verbessere ich meine Kompetenzen.
  • Ich wünsche mir so sehr, dass Rwanda einen echten, ewigen Frieden irgendwann finden kann. Die Menschen in Rwanda haben mehr als genug gelitten.
  • Ich wünsche Rwanda Stabilität und Demokratie und dass wir irgendwie dazu beitragen können.
  • Ich wünsche anderen Jugendlichen aus Rwanda, auch die Chance zu haben, ihr Herkunftsland wieder besuchen zu können.
  • Ich wünsche mir, dass die neue Generation in der Zukunft ein Rwanda ohne Hass aufbaut.
  • Dass Rwanda irgendwann mal ein richtig schönes Land wird, ohne Vorurteile, ohne Genozide usw. Ich wünsche mir einfach, dass meine Kinder, Enkel usw. nicht erleben müssen, was ich 1994 in Rwanda erlebt habe.
„Wir haben erste Schritte getan und müssen nun weitergehen.“



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